Lebendige Hoffnung – Christliches Zentrum Graz

Gnade – Titus 2,11-14

Grace - Click here for more information

Zur Online Bibel: 3.Mo 4,1-10 (LUT), Titus 2,11-14 (GNB)

Wir haben letzten Sonntag gehört, dass wir uns zwischen zwei Alternativen entscheiden müssen. Entweder halten wir das Gesetz mit den 10 Geboten und den ca. 600 Vorschriften im Alten Testament ohne wenn und aber bedingungslos ein oder wir kommen zum Glauben an Jesus Christus und werden vom ganzen Gesetz befreit:

„Denn Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt“

(Röm 10,4)

 

Selbst für die meisten Christen ist es sehr ungewohnt, dass es da plötzlich keine Regeln mehr geben soll, die sie einzuhalten haben. Laut einer Umfrage der Barna Group in Kalifornien denken vier von fünf Christen, geistliches Wachstum bedeute „sich anzustrengen, die Regeln einzuhalten“.

 

Kennt ihr den Sonnenfelsplatz bei der Karl-Franzens-Uni? Er wurde vor einigen Jahren in einen „Shared Space“ umgestaltet. Charakteristisch für solch einen Platz ist dabei die Idee, auf Verkehrszeichen, Signalanlagen und Fahrbahnmarkierungen zu verzichten. Gleichzeitig sollen die Verkehrsteilnehmer vollständig gleichberechtigt werden, wobei die Vorfahrtsregel weiterhin Gültigkeit besitzt.

 

Als ich das erste Mal über diesen neu gestalten Platz fuhr, war es wirklich sehr ungewohnt. Ich habe die Verkehrszeichen, welche mir ganz konkret alles vorgeben, vermisst und war unsicher wie ich mich verhalten soll.

Und so ergeht es uns auch, wenn wir zum Glauben kommen. Wir wollen Regeln haben, die uns sagen, dass darfst du und das nicht und wir suchen diese Regeln oft in einer Religion.

Aber so wie es beim Shared Space nur noch eine Regel gilt, nämlich die Vorrangregel, so haben wir auch im Glauben nur noch eine Regel, nämlich Jesus Christus.

 

Wenn uns die Bibel also sagt, das Gesetz hat im Leben eines Christen nichts zu suchen, dann ergibt sich aber automatisch die Frage: Was ist dann unser moralischer Leitfaden?

Als Christen haben wir ein angeborenes Verlangen, uns richtig zu verhalten. Und im Prinzip ist es genau dieses Verlangen, Gott zu gefallen, das manche zu dem Irrtum treibt, sie könnten ihr Leben auf das Gesetz gründen.

Aber Gott hat uns nicht vom Gesetz befreit um uns mit leeren Händen stehen zu lassen.

Wenn wir zum Glauben gefunden haben, dann lebt der Heilige Geist in uns. Und der Heilige Geist wirkt nicht durch das Gesetz in uns sondern durch ein völlig neues System, nämlich durch Gnade.

Wenn wir also das Wirken des Heiligen Geistes in unserem Leben erkennen wollen, brauchen wir ein tief greifendes Verständnis von Gnade.

 

Unsere Vorstellung von Gnade reduziert sich zumeist nur auf Güte und Barmherzigkeit. Dann lautet die typische Definition etwa so: „Gnade ist, wenn jemand etwas falsch gemacht hat und ihm die Strafe gemildert oder erlassen wird“.

Gnade wird oft als mögliche Reaktion auf Sünde angesehen, so wie man jemanden begnadigt, der ein Kapitalverbrechen begangen hat. Aber das Neue Testament beschreibt Gnade als etwas viel Gewaltigeres.

 

In Titus 2,11-12 erkennen wir, was Gnade im Leben eines Christen bewirkt:

„ Denn ´in Christus` ist Gottes Gnade sichtbar geworden – die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt.  Sie erzieht uns dazu, uns von aller Gottlosigkeit und von den Begierden dieser Welt abzuwenden und, solange wir noch hier auf der Erde sind, verantwortungsbewusst zu handeln, uns nach Gottes Willen zu richten und so zu leben, dass Gott geehrt wird“.

Titus 2,11-12

 

Gnade ist ein System, das der Heilige Geist gebraucht, um uns tagtäglich zu leiten und zu lehren. Die Gnade ist da, ob wir nun gerade gesündigt haben oder nicht.

 

Für viele ist es nicht vorstellbar: Ich brauche nur Jesus zu vertrauen und allein dadurch bin ich mit Gott versöhnt?

Das kann doch nicht alles sein! Ich muss doch auch etwas tun! So einfach kann es doch nicht sein!

Wenn das wahr wäre, dann würde das doch die ganze moralische Funktion von Religion zerstören! Wozu soll ich mich anstrengen und ein gutes Leben führen, wenn mir Gott sowieso alles vergibt?

Das ist doch billige Gnade! Paulus „verkauft“ die Gnade Gottes zu billig! Er verscherbelt sie ganz ohne Gegenleistung! Das kann doch nicht sein!”

Aber Paulus bleibt dabei: Wer durch eigene Leistung, durch Werke des Gesetzes gerecht werden möchte, der muss das ganze Gesetz halten. Es gibt keine Vermischung von eigener religiöser oder moralischer Leistung und Gnade. Es gilt nicht aufzurechnen: bis hier hin muss ich selbst gehen und den Rest schenkt mir Gott in seiner Gnade. Nein! Gott schenkt alles in seiner Gnade! Wer durch das Gesetz gerecht werden will der hat Christus verloren (Gal 5,4).

 

Das heißt für Paulus nicht, dass damit die Gnade billig wird oder dass moralisches Verhalten überflüssig wird. Für ihn ist nur das Vorzeichen anders: Alles menschliche Bemühen dient nicht dazu das Heil zu verdienen. Aber wer Gottes Gnade geschenkt bekommt, der wird sich von selbst danach ausstrecken ein Leben in der Liebe zu führen:

Wo Menschen mit Jesus Christus verbunden sind… zählt nur der vertrauende Glaube, der sich in tätiger Liebe auswirkt. 

Gal 5,6 (GNB)

 

Das ist keine billige Gnade – das ist geschenkte Gnade, die sich in der Liebe zeigt.

 

Wir fürchten, das Fehlen des Gesetzes könnte zu einem Lebensstill führen, der außer Kontrolle gerät. Diese Sorge ist verständlich. Aber sie widerspricht dem, was die Bibel über die Wirkung der Gnade sagt. Gnade ist nicht nur einfach eine Behandlung der Sünde. Gnade ist das Heilmittel!

 

Wenn wir die Funktion von Gnade in unserem Leben infrage stellen, beleidigen wir damit Gott. Hätte Gott einen neuen Bund eingeführt, der die Sünde nicht nur erlaubt, sondern sogar fördert? Ist Gott so naiv zu glauben, dass Gnade uns wirklich motiviert, gottesfürchtig zu leben?

 

Das ganze Geheimnis ist, dass Gnade unseren Stolz außer Kraft setzt. Wenn wir das Gesetz aus unserem Leben entfernen, bedeutet das, dass wir nicht mehr aus eigenen Bemühen versuchen müssen, unser Verhalten zu kontrollieren. Das Gesetz regt zu eigener Anstrengung an. Es ermutigt uns dazu, unsere Zuflucht außerhalb von Christus zu suchen. Bedingungslose Annahme hingegen setzt die eigenen Anstrengungen außer Kraft und lässt den Heiligen Geist all das sein, was er durch uns sein will.

 

Unsere größte Angst ist doch, die Kontrolle zu verlieren. Aber wir wurden gar nicht dazu geschaffen, die Kontrolle zu haben. Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung war schon immer eine natürliche Eigenschaft des Heiligen Geistes. Der Grund warum er in uns lebt, ist, die Selbstkontrolle hervorzubringen, von der wir fürchten, wir könnten sie unter der Gnade verlieren.

 

Paulus ermutigt uns, der Gnade unter dem neuen Bund zu vertrauen, und zitiert Jesus selbst:

„Doch der Herr hat zu mir gesagt: »Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt gerade in der Schwachheit zur vollen Auswirkung.« Daher will ich nun mit größter Freude und mehr als alles andere meine Schwachheiten rühmen, weil dann die Kraft von Christus in mir wohnt“

2 Kor 12,9

Jesus hatte anscheinend keine Angst davor, was ein Zuviel an Gnade im Leben von Paulus anrichten könnte. Gnade ist nicht nur eine Reaktion auf Sünde. Gnade ist das Herz des Neuen. Sie ermöglicht Jesus, durch uns all das hervorzubringen, was gerade benötigt wird. Nachdem Paulus diese Aussage Gottes über seine Gnade gehört hat, beschließt er, dass nun ein größerer als er selbst in seinem Leben wirksam werden soll: Jesus soll das hervorbringen, was er selbst nicht schafft.

 

Dasselbe gilt für uns noch heute.

 

Genau das macht das Christentum so einzigartig. Jesus kam in diese Welt und tat das, was niemand sonst tun konnte. Er bekräftigte die Liste mit Verhaltensregel. Er erklärte, dass Gottes Gesetz gut sei. Doch dann bot er sich selbst als Antwort auf die Frage an, die niemand sonst beantworten konnte:

„Was kann ich tun, wenn ich alles vermasselt habe?“.

Was das Gesetz nicht vermochte, vollbrachte Jesus, indem er sein Leben als vollkommenes und endgültiges Sündopfer hingab (siehe 1. Lesung 3. Mose 4,1-10).

 

Der Tod und die Auferstehung Christi signalisieren der Welt, dass das Reich Gottes nicht den guten Menschen vorbehalten ist. Es ist allen Menschen vorbehalten, die glauben, dass Jesus Christus menschgewordener Gott ist.

 

Das bringt mich zum Abschluss noch kurz auf das Thema Gerechtigkeit.

 

Das Evangelium ist im Grunde genommen das gerechteste System, das man sich vorstellen kann.

Denke mal darüber nach:

  • Jeder ist eingeladen
  • Jeder kommt durch die gleiche Tür hinein
  • Jeder kann die Anforderungen erfüllen

 

Jeder ist eingeladen, sogar Mörder und Ehebrecher wie König David oder Christenverfolger wie Paulus vor seiner Bekehrung.

 

Jeder kommt durch die gleiche Tür hinein – durch Jesus Christus.

 

Jeder kann die Anforderung erfüllen, nämlich an Jesus Christus glauben.

 

Doch diese Art von Gerechtigkeit hat ihren Preis.

Jesus litt und starb, um die Tür zum Reich Gottes so weit aufzustoßen, dass alle guten und nicht so guten Menschen eintreten können. Diese Gnade hat etwas gekostet. Aber nicht wir müssen den Preis dafür bezahlen. Der Opfertod Jesus hat uns von der Sünde freigekauft. Und es war der Tod Christi am Kreuz, der auch euch und mir das Reich Gottes öffnet.

 

Ist das gerecht?

 

Nein. Es ist vielmehr als gerecht.

 

Es ist Gnade.

 

Amen

 

Wir feiern heute im Anschluss das Abendmahl und bezeichnenderweise ist auch im Wort „Eucharistie“ (=Abendmahl) das Wort Charis, Gnade, enthalten.

Gnade (lat. gratia, griech. charis)